Die Ioannidis-Kritiker - Teil II
Was wissen wir über die Infektionssterblichkeit (infection fatality rate, IFR) von Covid-19?
Es hat leider etwas länger gebraucht, da ich erst die Journalartikel lesen musste.
Ich stelle zentrale Kritikpunkte an der WHO-Metastudie von Ioannidis zusammen, unter Angabe der Quellen. So kann jeder bei Bedarf prüfen, ob meine Zusammenfassung der jeweiligen Kritik an Ioannidis korrekt ist.
Die Sterblichkeitsrate informiert darüber, wie tödlich Covid-19 ist. Doch die Sterblichkeitsrate zu ermitteln, das ist auch nach Monaten der Pandemie nicht einfach, da es keine verlässlichen Zahlen gibt, sondern nur statistische Schätzwerte. Verschärfend kommt hinzu, dass während der ersten Welle - mutmaßlich - viele Infizierte nicht getestet worden sind. Die WHO schätzt, dass bereits bis zu 10 % Weltbevölkerung infiziert gewesen sein könnten, also nicht nur 40 Millionen, wie offiziell als positiv getestet worden sind. Wir haben es also mit dem erheblichen Problem der Dunkelziffer zu tun (s. Teil I).
Der von Ioannidis ermittelte Schätzwert von 0,26 % der Infektionssterblichkeit (Infection fatality rate, IFR) steht in deutlichem Kontrast zu den Schätzwerten der Fallsterblichkeit (Case fatality rate, CFR), die im Frühjahr aus den offiziell bekannten Infektions- und Todeszahlen ermittelt worden sind. Die Schätzwerte der Fallsterblichkeit vom Frühjahr betrugen lt. WHO und RKI so etwa zwischen 4 und 9 %.
In dem wissenschaftlichen Journalartikel "A systematic review and meta-analysis of published research data on COVID-19 infection fatality rates" kommen die Ioannidis-Kritiker Meyerowitz-Katz/Merone, publiziert im "International Journal of Infectious Diseases" (Volume 101, December 2020, S. 138-148), auf eine deutlich höhere durchschnittliche IFR (0,68 %). Auch hier handelt es sich, wie bei Ioannidis, um eine Metastudie, allerdings mit etwas anderer Datengrundlage und einer anderen Auswertungsstrategie.
Quelle:
https://www.sciencedirect.com/science/a ... 1220321809#
Wie kann man diese Differenzen in den Schätzwerten der IFR (0,26 bis 0,68 %) erklären?
Offensichtlich besteht ein großes Problem von Metastudien darin, dass die statistisch ausgewerteten Antikörperstudien eine unsichere Datengrundlage haben. Nach meinem Eindruck hat das damit zu tun, dass nicht alle Antikörpertests in gleicher Weise zuverlässig sind. Auch scheint es erhebliche methodische Probleme und uneinheitliche, zuweilen unvergleichbare nationale statistische Erfassungen der offiziellen Sterbedaten zu geben. D.h.: Unklar ist, wer alles in den nationalen Statistiken als Covid-19-Toter klassifiziert wird und wer nicht.
Noch grundsätzlich wird Ioannidis vorgeworfen (vgl.
https://www.derstandard.at/story/200012 ... oronavirus), dass dieser "viele relativ minderwertige Studien kombiniert habe, die dazu neigten, die jeweilige IFR zu unterschätzen. Zudem habe er meist den niedrigen Wert als Median übernommen." Ich kann das nur zitieren, nicht überprüfen. Dafür fehlt mit die methodische Kompetenz.
Was ist von dieser wissenschaftlichen - es ist keine politische - Kontroverse zu halten?
- Konsens der Kontroverse zwischen Ioannidis und seinen Kritikern scheint zu sein: Das Virus ist (für Ältere - über 65) deutlich gefährlicher als die Grippe. Besonders ab 70/75 Lebensjahren. Es ist für Junge (0-20) nicht gefährlich. Und es ist für Menschen von 20 bis 65 deutlich weniger gefährlich als man im Frühling noch befürchtete.
- Die Einschätzung eines "Datenfiaskos" von Ioannidis vom März 2020 ist nach wie vor gültig.
- Schätzwerte auf der Basis der Fallsterblichkeit haben im Frühjahr ein unrealistische Bild über die tatsächliche Bedrohung gezeichnet. Der Grund ist so einfach wie schlicht: Die Dunkelziffer der Infizierten ist weiterhin unbekannt.
- Die Schätzwerte der IFR gehen erheblich auseinander (Ioannidis: 0,26 %, Kritiker: 0,68 %)
- Diese Schätzwerte sind keine Wahrheitsaussagen (richtig/falsch), sondern wissenschaftliche Annäherungsversuche, angesichts der vorhandenen gravierenden Datenprobleme, etwas genaueres über das "tatsächliche" Sterblichkeitsrisiko von Covid-19 aussagen zu können.
- Weder bei den Schätzwerten der IFR von Ioannidis noch bei seinen Kritikern findet man, noch nicht einmal annäherungsweise, so düstere Schätzwerte wie die Schätzungen der Fallsterblichkeit (4 bis 9 %, WHO, RKI) vom Frühjahr.
- Es gibt bis heute keine großen und repräsentativen Seroprävalenzstudien. Das ist früh moniert wurden, bereits Anfang April, dann publiziert in einem internationalen wissenschaftlichen Methodenjournal (Quelle:
https://ojs.ub.uni-konstanz.de/srm/article/view/7749). In Deutschland ist eine repräsentative Studie vom RKI (in Kooperation mit dem DIW/SOEP) inzwischen in Arbeit. Ich hatte vor Monaten kritisiert (s.o.), dass es ein Unding sei, dass keine repräsentativen Daten zur IFR vorliegen würden. An diesem Datendesaster hat sich bis heute eigentlich nix geändert. Ich bin gespannt auf die repräsentativen Daten von RKI/DIW/SOEP.
https://www.marktforschung.de/aktuelles ... -abbildet/
Weiteres Journalpaper von Ioannidis, falls jemand von euch interessiert ist, zur gobalen Abschätzung der Todeszahlen:
Ioannidis (2020), Global perspective of COVID-19 epidemiology for a full-cycle pandemic. In: European Journal of Clinical Investigation, Oktober 2020. Quelle:
https://onlinelibrary.wiley.com/doi/epd ... /eci.13423
Weitere Ioannidis-Kritiker siehe hier:
https://www.dailymail.co.uk/news/articl ... laims.html